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Tag 9: Polizeigewalt bei der Ticketkontrolle

„Freie Fahrt zu dritt“

Im Jahr 2009 in meinem Wohnort Freiburg wurde ich nachts etwa um 0.30 Uhr in einer Straßenbahn kontrolliert. Es war die letzte Straßenbahn gewesen, denn sie war überfüllt. Ich konnte einen gültigen Fahrschein vorweisen. Die leicht angetrunkenen Kontrolleure waren aber der Meinung, ich hätte diesen zu spät gelöst. Irgendwie bekam ich Panik, fühlte mich ausgeliefert – trotz der Sympathiebekundungen von vielen Fahrgästen. Ich weigerte mich, meine Personalien anzugeben – ich hatte doch einen Fahrschein! 

Daraufhin übergaben mich die Kontrollettis der Polizei, und zwar an einer Haltestelle, wo es weder Videoaufzeichnung noch ausreichende Beleuchtung gab. Zwei junge Berufsanfänger, ein Mann und eine Frau, erwarteten mich dort tatendurstig. Die Polizistin wollte mir den Rucksack entreißen, um an meine Brieftasche mit dem Personalausweis heranzukommen. Weil ich mich wegdrehte, traf sie ein Gurt im Gesicht. 

Dann sind die beiden ausgerastet, schubsten mich in das Wartehäuschen, legten mir Handschellen an und beschimpften mich. Ich fing an zu schreien, darauf öffneten sich mehrere Fenster und zwei Passanten blieben stehen. Also brachten die beiden mich in ihrem Polizeibus zur nächsten Wache, wo meine Personalien festgestellt und ich noch eine Weile mit blöden Fragen drangsaliert wurde. Anschließend ging ich noch zur Notfallambulanz im St. Josefskrankenhaus, wo mehrere schmerzhafte Hämatome festgestellt wurden. Sie gaben mir auch etwas zur Beruhigung – wenn ich mich recht erinnere.

Um den Übergriff zu verarbeiten – was nicht ganz leicht war – nahm ich mir einen Anwalt. Mit mehr als 50 Jahren hätte ich mir etwas brechen können bei der groben Behandlung. Ich konnte nicht glauben, dass ein solches Verhalten straffrei möglich sei. Aber genau das passierte dann. Die Kontrollettis sprachen sich mit den PolizistInnen ab und gaben zu Protokoll, dass die Gewalt von mir ausgegangen war. In Wahrheit waren sie zum Zeitpunkt der Gewaltausübung gar nicht mehr anwesend. Das konnte ich aber nicht beweisen.

Mein Anwalt rechnete dem Gericht vor, dass mir mit ALG II und geringfügigem Nebenverdienst täglich nur 3,57 Euro zur Verfügung stehen, um solche Ausgaben wie eine Geldstrafe zu begleichen. Der Tagessatz beträgt aber 10 Euro und ich wurde zu 40 Tagessätzen verurteilt (!) Eine Reduzierung bzw. Anpassung dieses Satzes wurde vom Amtsgericht abgelehnt mit dem Argument, ich könne ja eine mündliche Verhandlung durchführen lassen, um meine Unschuld zu beweisen.

I. Wagner, 8. November 2020

Textauszug ergänzt + geändert aus I. Wagners Essay „Freie Fahrt zu dritt“, veröffentlicht 2011, im Sammelband „Aktuelle Themen unserer Gesellschaft“, Johann-Friedrich Huffmann (Hrsg): „Soziale Gerechtigkeit in Deutschland – eine naive Utopie?“, Frieling Verlag Berlin.