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Tag 5: Ottilie Bader und die sozialistische Frauenbewegung

„… so wurden die Frauen noch besonders drangsaliert“ – Ottilie Baders Erinnerungen an polizeiliche Schikanen

1847 wird Ottilie Baader geboren. Knapp 75 Jahre später erscheinen die Lebenserinnerungen der Sozialistin und Frauenrechtlerin, die führend am Aufbau der sozialistischen Frauenbewegung beteiligt war. In ihren Lebenserinnerungen beschreibt Ottilie Baader im Kapitel „Polizeilichen Schikanen“ eindrücklich, mit welchen Repressionen Frauen der Arbeiterinnenbewegung in den 1890er Jahren zu kämpfen hatten:

„Langsam, aber stetig nahm die Bewegung unter den Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse zu. Je größer aber die Fortschritte waren, die der Sozialismus durch unsere Arbeit machte, um so gefährlicher erschien er den herrschenden Klassen. Die Behörden suchten uns mit allen Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, zu hemmen. Es gibt wenige unter den Frauen, die in den neunziger Jahren als Rednerinnen auftraten, die nicht auf die Anklagebank gezerrt wurden. Erinnert sei an die Prozesse, in die Agnes Wabnitz verwickelt wurde. Ihre Kraft ist schließlich an den Strafen und Verfolgungen zerbrochen. Auf dem Märzfriedhof im Friedrichshain hat sie ihrem Leben ein Ende gemacht.

Nicht immer verlief die Sache so tragisch. Andere Genossinnen bestanden die Strafen und kehrten »ungebessert« in die preußisch-deutsche Freiheit zurück. Im Dezember 1893 hatte ich in Reinickendorf einen Vortrag über den eben mit einem Siege der Arbeiterschaft beendeten englischen Kohlenarbeiterstreik gehalten. Ich erhielt eine Anklage und wurde zu 100 Mark Geldstrafe verurteilt, weil ich nach Angabe des überwachenden Beamten zur Gewaltanwendung aufgefordert habe. In der Urteilsbegründung heißt es:

»Die Angeklagte mag wohl ›geistige Waffen‹ gemeint und bei denjenigen ihrer Zuhörer, welche ihr folgen konnten, eine gleiche Auffassung erzeugt haben, aber die große Menge der Zuhörer steht auf dem gleichen Bildungsniveau wie der Gendarm, bei welchem sie die andere Auffassung hervorgehoben hat.«

Immer schärfer ging man gegen die Frauen vor. Waren schon die allgemeinen Bestimmungen für die Arbeiterbewegung schlimm genug, so wurden die Frauen noch besonders drangsaliert. Jeder und jede, die in öffentlichen Versammlungen oder in Vereinsversammlungen, sei es auch nur in der Diskussion, das Wort ergriff, mußte dem überwachenden Beamten Namen und Adresse mitteilen. Von den Vereinen wurde ein Mitgliederverzeichnis verlangt, das immer wieder ergänzt werden mußte. Die Polizei bestimmte, ob der Saal gefüllt sei usw. Vom Vorstand des Sozialdemokratischen Volksvereins in Elberfeld verlangte die Polizei ein Verzeichnis der Mitglieder mit ausgeschriebenen Vornamen, weil sonst die Geschlechtseigenschaft nicht zu unterscheiden sei. Die Frauen sollten vor dem sozialistischen Gift bewahrt werden.“ 

(Baader: Lebenserinnerungen, S. 42-44, Text gekürzt)

Zum Weiterlesen:

Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen einer Sozialistin. Einleitung von Marie Juchacz, 3. Auflage, Berlin, Bonn: Dietz, 1979. Erstdruck: Stuttgart (J. H. W. Dietz); Berlin (Vorwärts) 1921. Online verfügbar.

Freude, Roswitha: Ottilie Baader. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Leipzig 1984. Online verfügbar.

Reusch, Nina / Beier de Haan, Rosmarie / Scriba, Arnulf: Die proletarische Frauenbewegung, in: Lebendiges Museum Online, Berlin (Deutsches Historisches Museum) 2016. Online verfügbar.

Kruse, Wolfgang: Sozialdemokratie zwischen Ausnahmegesetzen und Sozialreformen, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Dossier: Das Deutsche Kaiserreich, Bonn 2012. Online verfügbar.