Hier im Rotteckhaus befand sich von 1907 bis 1928 der Freiburger Frauenklub. Er war Veranstaltungsort und Treffpunkt für Freiburgerinnen aus dem Bürger*innentum, die sich für die Gleichstellung von Frauen stark machten. Der Frauenklub war auch ein Ort für Frauenkultur. Konzerte, Vorträge, Autorinnenlesungen fand hier statt und Frauen* begegneten sich unter Frauen*. Viele Vereine der bürgerlichen Frauenbewegung hatten im Frauenklub ihre Adresse – so auch die Ortsgruppe des Vereins für Frauenstimmrecht.
Mit der Novemberrevolution endete am 11. November 1918 der Erste Weltkrieg, in Deutschland wurden die Waffen niedergelegt. Zur Verwunderung vieler Wahlrechts-Aktivistinnen verkündete der Rat der Revolutionsbeuaftragten nur einen Tag später: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“
Die Frauen in Deutschland erhielten also das Wahlrecht. Ein Sieg auch für die Lehrerin Lina Wäldin. Als langjährige Vorsitzende des badischen „Vereins für Frauenstimmrecht“ gehörte sie zu den historischen Akteurinnen der Freiburger Frauenbewegung. Folgerichtig kandidierte sie als eine der ersten Frauen für ein politisches Mandat. Sie kam 1919 für die DDP, die Deutsche Demokratische Partei, in die Stadtverordnetenversammlung – das Vorläufergremium des heutigen Gemeinderats.
Lina Wäldin arbeitete zu dieser Zeit schon lange nicht mehr als Lehrerin oder anders ausgedrückt: Sie durfte nicht mehr als Lehrerin arbeiten, weil sie 1908 den Lehrer Robert Wäldin geheiratet hatte. Der Beamtinnenzölibat im Deutschen Kaiserreich entzog Lehrerinnen – aber auch Postbeamtinnen im Falle ihrer Eheschließung den Beruf. Nur unverheiratete Frauen durften im Staatsdienst stehen. Als Ehefrauen sollten sie sich auf ihre Aufgaben in der Familie beschränken.
Übrigens: Dass sich auf dieser Tafel ein Porträtfoto von Lina Wäldin befindet, ist eine große Ausnahme. Von den ersten Politikerinnen gibt es kaum Bilder – von ihren männlichen Kollegen selbverständich schon. Während Männer aus dem Bürgertum häufig portraitiert wurden, ist es bei Frauen ein Glücksfall: auch dann, wenn sie im Parlament saßen.
Lina Wäldin saß nur ein Jahr in der Freiburger Stadtverordnetenversammlung. Das Ehepaar Wäldin zog 1920 ins Markgräflerland, später führen Lina Wäldins Spuren nach Wien, wo sie 1950 beerdigt wurde.